Paraschat “WAJELECH“
Belebende Parascha
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart
von Rabbiner Benjamin Sufiev
Band II
DER POSAUNENSCHALL AUF DER STRASSE
Unser Wochenabschnitt handelt von dem Gebot Hakhel: Zur Zeit des Tempels
versammelte sich das jüdische Volk einmal in acht Jahren (nach dem Schmitta-Jahr zum
Sukkotfest) im Tempel und lauschte, wie der König gewisse Abschnitte aus der Thora
vorlas. Sie handelten von der Verbundenheit zu G‘tt und dem Erfüllen der Mitzwot und
solllten die Zuhörer erwecken, sich darin zu stärken, wie die Thora sagt: auf dass sie hören
und lernen und G‘tt ehrfürchten (Dewarim 31:12).
Die Tosefta (Sammelwerk mündlicher Überlieferungen aus der Zeit der Tannaiten - den
Gesetzeslehrern der Mischna) erzählt, dass an jenem Tag der Versamlung die Kohanim in
den Straßen Jeruschalajims standen und in ihre goldenen Trompeten bliesen, damit sich
das Volk im Tempel versammle. Abschließend sagt die Tosefta: „Über einen Kohen, der
keine Trompete mit sich trug, sagte man, dass er kein Kohen sei“ (Sota 7:8).
Der Sinn des Weihrauchs (Ketoret/Räucherwerk)
Die letzte Aussage des Talmuds bedarf einer Erläuterung. Die Aufgabe der Kohanim war
es, im Tempel den G‘ttesdienst zu verrichten. Das Volk anhand der Posaunen in den
Tempel zu rufen, war nur Mittel zum Zweck für das Gebot von Hakhel und galt an sich nicht
als Teil des G‘ttesdienstes im Tempel. Warum war es dann so schlimm, wenn ein Kohen
keine Trompete mit sich geführt hatte, bis man sogar über ihn sagte, dass er kein Kohen
sei?!
Schauen wir uns einmal die Aufgaben der Kohanim im Tempel an und dann werden wir
die Aussage des Talmuds besser verstehen. Eine ihrer hauptsächlichen Aufgaben war die
Darbringung des Weihrauchs. Rambam zufolge diente der Weihrauch dazu, schlechte
Gerüche zu entfernen und einen wohlriechenden Duft im Tempel zu erzeugen (More
Newuchim, Band 3, Kapitel 45). Dies ist aber nicht nur im einfachen Sinn zu verstehen. Der
Sohar erklärt, dass der Weihrauch die Unreinheit des bösen Triebs entfernen sollte (Sohar
II 218b).
Die Arbeit mit dem Volk
Der Weihrauch bestand aus Pflanzen, die nicht um Verzehr geeignet waren. Eine davon
war Galban חלבנה, dessen Geruch sehr schlecht war. Dies deutete die niedrigen Elemente
der Welt an (laut dem Talmud die Sünder Israels - Talmud Kritot 6b). Durch die
Darbringung des Weihrauchs (von dem Galban ein Bestandteil war) wurden auch die
niedrigen Elemente der Welt in die Heiligkeit emporgehoben. Dies taten die Kohanim, denn
ihre Hauptaufgabe im Tempel lag darin, die Welt näher zu G‘tt zu bringen (Tora Or 99a).
Und diese besondere Aufgabe der Kohanim kam sehr stark beim Gebot von Hakhel
zum Ausdruck. Die Kohanim, welche sieben Jahre zuvor damit beschäftigt waren, die
niedrigen Elemente der Welt in die Heiligkeit zu erheben, sollten sich nun dem jüdischen
Volk widmen, es auf ein höheres Niveau der Heiligkeit zu bringen.
Jeder ist ein Kohen
Deshalb wurde auch der Kohen in dieser Sache auf die Probe gestellt: Wenn er spürte,
dass es seine Aufgabe war, seine Mitmenschen zu inspirieren und stärker an G‘tt zu binden
und sodann auf die Straße ging und mit seiner Posaune das Volk aufrief, zum Tempel zu
kommen, bezeugte er, dass er seiner Aufgabe als Kohen gerecht wurde. Doch sollte er im
Tempel bleiben und sich nicht um das Volk kümmern, „sagte man über ihn, dass er kein
Kohen sei“!
Eigentlich ist jeder Jude wie ein Kohen, wie die Thora sagt: Und ihr sollt Mir ein
Priestervolk sein (Schmot 19:6). Die Aufgabe jedes Juden und vor allem derjenigen, die auf
andere offenkundigen Einfluss haben, liegt darin, nach draußen zu gehen und seine
jüdischen Mitmenschen zum „Tempel“ zu rufen - sie in dem Erfüllen der Thora und Mitzwot
zu stärken, auf dass sie hören und lernen und G‘tt ehrfürchten.
(Likutej Sichot, Band 14, Seite 127)